Tatortkontrollkommission

unabhängige Kommission zur Untersuchung und Kontrolle der Medialisierung und Visualisierung von Rechtswirklichkeit am Beispiel der ARD-Produktionen "Tatort" und "Polizeiruf 110"

Sonntag, 4. Januar 2009

Spiegel: "Atomstaat BND"

Tatort am Sonntag, den 16.11.08:
Salzleiche (Regie: Christiane Balthasar , NDR >>)

Sachverhalt:
Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler), noch immer im Mutterschutz, wird vom Oberstaatsanwalt "gebeten" den Mord an dem Wachmann Sven Gutzkow aufklären, dessen Leiche seit einem halben Jahr in den Salzhalden des Erkundungsbergwerks Gorleben verschüttet lag. Schon bald ermittelt sie in einem "strahlenden Milieu": Der Leiter der Betreibergesellschaft des atomaren Zwischen- und Endlagers, Kasper (Stephan Grossmann), wird seit geraumer Zeit erpresst. Unter Verdacht stehen Gutzkows Kollegen Augenthaler (Rainer Bock), dessen Eigenheim im Rohbau steckt sowie der Geologe Sandmann. Irritierend gut informiert und misstrauisch tauchen immer wieder Mitglieder der Anti-AKW-Bewegung auf, angeführt von der ehemaligen grünen Bundestagsabgeordneten Welany. Auch die Presse klebt der Kommissarin am Hacken und so mancher zwielichtige Agent hört nicht nur ihr Telefon ab.
Charlotte und der Kollege vor Ort, Polizeihauptmeister Jakob Halder (Matthias Bundschuh), stellen mit ihren Ermittlungen das Wendland auf den Kopf. Das Ergebnis: ein Schließfachschlüssel, eine vermeintliche Stimme aus dem Jenseits und eine weitere Leiche. Charlotte wird von ihrer Freundin Belinda (Catrin Striebeck), Mitarbeiterin beim LKA, gewarnt: Diese Sache sei eine Nummer zu groß für sie.
Doch Charlotte lässt sich nicht beirren. Als sie herausfindet, dass sich Gutzkow vor seinem Tod mit dem spanischen Terrorhelfer Ahmadin getroffen hat, führt sie diese heiße Spur nach Barcelona, wohin sie der Staatsanwalt auch prompt (dienst-)reisen lässt.
Wie so oft bei Kommissarin Lindholm führen sie auch höchst private Gründe in die spanische Metropole: der Vater ihres Kindes. Das Wespennest, in das sie dort stößt, ist allerdings nicht rein persönlich, hat mit dem Mord rein gar nichts zu tun und bringt sie in höchste Gefahr.

Bewertung:
Das Genere dieses Tatorts ist vom traditionellen Kriminalspielstück so weit entfernt, dass es wohl eher als Thriller mit aufklärerischem Schwerpunkt gelten kann. Das macht, bei aller Unterhaltsamkeit, eine Beurteilung am Maßstab der Realität schwierig. Denn was dort als ausgemachtes Ganovenstück mit geheimdienstlicher Verquickung präsentiert wird, ist so weit von den Kathegorien rechtsstaatlicher Ermittlungsarbeit entfernt wie dies Geiheimdienstarbeit im allgemeinen zu sein scheint - auch wenn in diesem Fall selbst für die hintergründigen Tätigkeiten des BND keinerlei Rechtsgrundlagen existierten. Eine juristische Aufarbeitung dieses Tatorts würde daher den Rahmen dieses Projekts sprengen.

Statt dessen hat sich die Kommission entschlossen einen Artikel der Elbe-Jeetzel-Zeitung (vom 18.11.08) zu dokumentieren. Denn darin wird der Vermittlungsprozess von der Produktion über die ZuschauerInnen zurück zu den Medien und ihre LeserInnen deutlich:

»Wichtige Inhalte transportiert»
Gorleben-Tatort: Public Viewing am Drehort in Gedelitz - Kritiken: »Guter Tatort», aber auch »konstruiert und gewollt»

ac Gedelitz. Etwa 70 Menschen schauen gebannt auf eine große Leinwand, die im Gasthaus Wiese in Gedelitz aufgebaut ist. Gleich soll er gezeigt werden - der Gorleben-Tatort »Die Salzleiche».

Es ist unruhig im Gasthaus. Die Zuschauer des »Public Viewings» warten gespannt auf die Ausstrahlung des Films, der am Sonntagabend einen Marktanteil von fast 26 Prozent erreichte. Über neun Millionen Menschen haben ihn gesehen.

»Ich bin skeptisch, ob die Atommüll-Thematik richtig aufgearbeitet wurde», sagt Marianne Fritzen, Urgestein der Anti-Atom-Bewegung, bevor der Film beginnt. Auch der NDR hat die Brisanz dieses besonderen Tatorts, eine Woche nach dem vorigen Atommülltransport, erkannt und ein Fernsehteam geschickt. Es soll die Reaktionen der Zuschauer einfangen. An dem Ort, an dem auch gedreht wurde. Das Gasthaus ist im Tatort mehrfach von innen und außen zu sehen. Beim Abspann hört man es bereits im Saal murmeln. Es gibt viel zu besprechen. »Das war ein guter Tatort! Ich glaube, dass die Zuschauer viel darüber erfahren haben, wie die Situation in Gorleben wirklich ist. Die Republik hat in den vergangenen drei Wochen viel dazugelernt», meint Martin Donat (Kreistagsmitglied der GLW) mit einem Lächeln. »Der Tatort war sehr informativ für Menschen, die sich sonst nicht mit der Gorleben-Problematik beschäftigt haben. Sie wissen jetzt, dass der Atommüll nicht unterirdisch im Salzstock, sondern in einer oberirdischen Blechhalle gelagert wird», sagt Marianne Fritzen. Diese Information war auch Susanne Kamien von der Bäuerlichen Notgemeinschaft besonders wichtig. Sie freute sich, dass die politische Botschaft so gut von Drehbuchautor Max Eipp verpackt wurde: »Es wurde noch einmal deutlich, dass die Endlagerfrage noch nicht geklärt ist.» Ein bisschen hat sie sich aber über die im Film dargestellte BI-Vorsitzende geärgert, die mit Wollpulli, VW-Bulli und ihren zwei latzhosigen Begleitern plakativ das Klischee einer Widerständlerin wiedergeben soll. Klischees werden im Film einige bedient - so tauchen auch eine esoterisch angehauchte, gewollt individuell wirkende Wendländerin und ein kiffender PC-Spezialist auf. Das Gasthaus wurde eigens für den Film umdekoriert. Seit dem Besuch des Filmteams hängen Geweihe an der Wand, und den Gastraum ziert eine Hirschtapete. »Für ein kommerzielles Produkt sind die politischen Hintergründe aber ganz anständig recherchiert», findet Susanne Kamien. Über den im Tatort angesprochenen Handel mit radioaktivem Material sagt Martin Donat: »Der kritische Ansatz war gut. Er hat die Frage aufgeworfen, wie sicher das radioaktive Material vor Fremdnutzung ist.» Marianne Fritzen fügt hinzu: »Mich hat berührt, wie mit atomarem Brennstoff umgegangen werden kann.»

»Der Tatort hat sich deutlich von der üblichen Krimi-Unterhaltung unterschieden und politisch wichtige Inhalte transportiert. Das sollte es öfter geben!», meint Dokumentarfilmerin Roswitha Ziegler. Die Geschichte der »Salzleiche» sei aber zu konstruiert und gewollt. Für Ortsansässige sei der Zusammenschnitt der Landschaftsszenen sehr amüsant gewesen, der mit der Realität natürlich nicht viel gemein hatte. Der ein oder andere Lüchow-Dannenberger hat vielleicht auch einen Bekannten hinter Kommissarin Lindholm durch das Bild huschen sehen. Viele der Komparsen, wie Andreas Ehlert, der einen Polizisten spielte, kamen aus der Region. »Ich war nur ein paar Sekunden zu sehen, aber meine Leute haben mich erkannt», sagt Andreas Ehlert, der findet, dass sein Auftritt ein bisschen was von Slaptstick hatte. Während des Films gab es für die Zuschauer im Saal viel zu lachen. »Der Film enthält spitzen wendländischen Humor», fand Klaus Beckstedt aus Küsten. Damit meinte er beispielsweise die kritischen Fragen der Tatort-Komissarin Lindholm an den Betreiber des potenziellen Endlagers: »Und Gorleben ist der sicherste Ort, weil die weitere Suche zu teuer ist?» Einige der Zuschauer des »Public Viewings» tauschten noch die oder andere Hintergrundinfo aus: Wer hätte schon gedacht, dass die Hand eines Toten, die aus einem Autofenster ragt, Kinobetreiber Thomas Günther aus Lüchow gehört? Auch bundesweit dürfte der Film den Zuschauern vor dem Fernseher einige Illusionen geraubt haben.