Tatortkontrollkommission

unabhängige Kommission zur Untersuchung und Kontrolle der Medialisierung und Visualisierung von Rechtswirklichkeit am Beispiel der ARD-Produktionen "Tatort" und "Polizeiruf 110"

Sonntag, 9. Juni 2013

Er wird Töten

Tatort am 9. Juni 2013


Handlung

(Bremer Rundfunk, Tatort 876)
Stedefreund ist aus Afghanistan zurück! Doch ehe sich Hauptkommissarin Inga Lürsen darüber freuen kann, muss sie sich im Präsidium mit einer bedrohten Frau auseinandersetzen, die immerzu "Er wird töten" sagt. Als Stedefreund Ingas neuen Kollegen Leo Uljanoff herbeiholen will, macht er eine grausame Entdeckung: Leo wurde im Präsidium ermordet. Die Suche nach dem Mörder beginnt.
Obwohl Inga eine Liebesbeziehung mit Leo hatte, will sie den Fall lösen. Wiedervereint beginnen Inga und Stedefreund mit den Ermittlungen. Sie finden heraus, dass es sich bei der Frau um die Ärztin Marie Schemer handelt. Sie bezichtigt ihren Exmann Joseph, sie zu verfolgen, zu bedrohen und die gemeinsame kleine Tochter und jetzt auch Leo umgebracht zu haben. Tatsächlich gibt es eine Verbindung: Leo leitete vor acht Jahren einen Fall, in dem es um den Tod der Tochter von Joseph und Marie ging. Damals wurde Joseph verurteilt, das Kind getötet zu haben. Wurde Leo deshalb ermordet?
(Quelle: ARD-Ankündigung)

Rechtliche Bewertung


Auch wenn die StPO keine Vorschriften über die Befangenheit von Ermittlungspersonen enthält – anders als bei Richter_innen –, stellt die unmittelbare Beteiligung naher Angehöriger, wie in diesem Fall die Kriminalhauptkommissarin Lürsen, deren Kollege und Lebensgefährte das Tatopfer ist, ein Verstoß gegen Dienstvorschriften dar und ist hochgradig unprofessionell.
Bei der Verhaftung des Tatverdächtigen Joseph Vegener wird dieser auf der Flucht versehentlich von Lürsen angefahren. Unmittelbar danach hätte er ärztlich untersucht werden müssen. Dies ist nicht geschehen, vielmehr fand in unmittelbarem Anschluss eine Vernehmung des potentiell Verletzten Vegener statt. Selbst wenn dieser auf die Frage von Kommissar Stedefreund antwortet, dass alles ok sei, kann er das – zumal in der Schocksituation nach dem Autounfall – gar nicht einschätzen. Dieses Unterlassen stellt potentiell eine Körperverletzung im Amt dar, weil bei Ingewahrsamnahme auch die Sorge um das körperliche Wohlbefinden auf die Polizei übergeht (sog. Garantenstellung).
Bei der Verhaftung des Zwillingsbruders von Joseph, Robert Vegener, kommt es zu einem Handgemenge mit Nachbarn. Stedefreund klärt die Situation durch einen Schuss in die Luft. Die Tatbestandsvoraussetzungen für den Gebrauch der Dienstwaffe lagen jedoch nicht vor, es bestand keine unmittelbare Gefährdung für Leib und Leben von Personen.
Bei der Vernehmung von Robert Vegener auf dem Polizeipräsidium wird dieser nicht darüber belehrt, dass er als Beschuldigter vernommen werden soll und nicht nur als Zeuge. Zwar wurde die Belehrung im Film nicht gezeigt – könnte also vorher stattgefunden haben –, aber während der Vernehmung reagiert der Zwillingsbruder äußerst überraschte auf die Konfrontation mit dem Tatvorwurf. Dies lässt den Schluss zu, dass eine entsprechende Belehrung Vegeners unterblieben ist. Zu dieser hätte auch gehört, dass er einen Rechtsbeistand hinzuziehen kann und als Beschuldigter – anders als ein Zeuge – ein Aussageverweigerungsrecht hat (das ihm hier als Bruder des Beschuldigten ohnehin zugestanden hätte). 
Im Laufe einer weiteren Vernehmung von Joseph Vegener packt Kommissar Stedefreund diesen und wirft ihn samt Stuhl zu boden, wo er ihn fixiert und mit sachzusammenhanglosen Erinnerungen aus Stedefreunds Zeit in Afghanistan konfrontiert. Diese Handlung stellt eine Körperverletzung im Amt dar, die von den anwesenden Kollegen geduldet und nicht kommentiert wird.