Tatortkontrollkommission

unabhängige Kommission zur Untersuchung und Kontrolle der Medialisierung und Visualisierung von Rechtswirklichkeit am Beispiel der ARD-Produktionen "Tatort" und "Polizeiruf 110"

Sonntag, 11. Oktober 2015

Der Fall Oury Jalloh im Tatort


Tatort vom 11. Oktober 2015


Am Sonntag, den 11. Oktober 2015 widmete sich der NDR dem Thema polizeilicher Rassismus und inszenierte einen Fall, der an den Tod des im polizeilichen Gewahrsam verbrannten Oury Jalloh aus Sierra Leone angelehnt ist. Die Folge „Verbrannt“ spielt nicht – wie das Original – im sachsen-anhaltinischen Dessau, sondern in der niedersächsischen Kleinstadt Salzgitter. Die handelnden Polizeibeamt_innen sind keine Ostdeutschen, sondern aus der Region.

Die Story

Ein vermeintlicher Passfälscher wird vom Bundespolizeikommissar Falke festgenommen, über Nacht in den Polizeigewahrsam der lokalen Polizeidirektion verbracht und vom Polizeiarzt für hafttauglich erklärt. Am folgenden Morgen erfahren Falke und seine Kollegin Lorenz, dass der Festgenommene, J. Bali aus Mali, nicht der Gesuchte war, nachts in der Zelle an Händen und Füßen fixiert wurde und dort verbrannt ist. Falke und Lorenz wollen die Umstände des Brandes feststelle und zweifeln an der offiziellen Version der Spurensicherung, wonach Bali sich selbst angezündet haben soll. Sie finden heraus, dass ein junger Polizist als Initiationsritual Bali angezündet hat und vom Direktionsleiter zu dieser Tat angestiftet wurde.

Bewertung

In ihren Ermittlungen wird individueller und institutioneller Rassismus in der Polizei ausdrücklich abgebildet und kritisiert. Damit rückt dieser Tatort ein üblicherweise verschleiertes Problemfeld deutlich in den Blick. Erst jüngst wiederholte der Menschenrechtsbericht des Europarats die lange bestehende Forderung, eine unabhängige Stelle für Beschwerden wegen Polizeigewalt einzurichten. 

Trotz dieses positiven Aufklärungseffekts enthält die Folge gravierende Mängel:
  • Falke schlägt dem am Boden liegenden Bali bei dessen Festnahme wiederholt mit der Faust ins Gesicht und bricht ihm dabei das Nasenbein. Falke wollte sich damit für einen Angriff von Bali auf Lorenz rächen. Diese Körperverletzung im Amt wird von Lorenz nicht zu Protokoll gebracht. Als Polizistin ist sie dazu jedoch verpflichtet, sodass sie eine Strafvereitelung im Amt begeht. Insgesamt entsteht der Eindruck einer individuellen polizeilichen Überforderung, die nicht offiziell aufgearbeitet werden kann, sondern wie selbstverständlich unter den Teppich gekehrt wird. 
  • Außerdem reproduziert auch diese Folge rassistische Stereotype. So sprechen die auftretenden afrikanischen Migrant_innen die Polizist_innen überwiegend in afrikanischen Sprachen an. Tatsächlich beherrschen die meisten Menschen aus dem sub-saharischen Afrika Englisch oder Französisch und würden deutsche Polizist_innen auch eher in einer dieser Sprachen anreden. Für das Fernsehpublikum entsteht so mehrheitlich der Eindruck von fehlender Artikulationsfähigkeit, obwohl afrikanische Migrant_innen üblicherweise mehr Sprachen beherrschen als Deutsche. 
  • Die Bundespolizist_innen Falke und Lorenz ermitteln anstelle der niedersächsischen LKA-Stellen, die für interne Ermittlungen zuständig sind. Das überschreitet die gesetzlichen Kompetenzen der Bundespolizei (§ 12 BPolG). Dabei schalten sie zu keinem Zeitpunkt die Staatsanwaltschaft ein, die gesetzlich die Verfahrenshoheit hat. Unter anderem erhalten sie ein Video, das  eine Verabredung zum Verbrechen unter Polizist_innen zeigt. Spätestens über diesen Anfangsverdacht hätte die Staatsanwaltschaft informiert werden müssen. Stattdessen entsteht der Eindruck, dass die Verfolgung von polizeilichem Rassismus allein auf das individuelle Engagement von Einzelpersonen gestützt werden kann.
Angesichts der großen Bedeutung von Rassismus im Polizeialltag ist es wünschenswert, dass diese Thematisierung fortgesetzt wird, ohne Rassismus in der filmischen Bearbeitung fortzusetzen.