Tatortkontrollkommission

unabhängige Kommission zur Untersuchung und Kontrolle der Medialisierung und Visualisierung von Rechtswirklichkeit am Beispiel der ARD-Produktionen "Tatort" und "Polizeiruf 110"

Sonntag, 19. Mai 2013

Das Ende des Vertrauens

Wie viel Terror ist Staat?

oder: „vielleicht hat sich ja seit Zeiten von NSU doch etwas geändert“


Ach was waren die Zeiten doch so schön einfach, als "der Alte" noch im bundesbürgerlichen Mief der 70er Jahre herumschnüffelte und damit seinem Kollegen Stephan Derrick als Zweiter im Zweiten Konkurrenz machte – so sicher war München noch nie. Da mordeten Frauen noch mit Gift und wurden in 60 Minuten von echten Männern überführt, die zum Mittag zu Hause waren und nicht ständig ihre Privatprobleme zum Mittelpunkt ihrer Ermittlungen machten. Da war die deutsche Gesellschaft auf dem Mattschirmen noch weiß und Roma wurden noch "Zigeuner" genannt. Mittlerweile ist Derrick-Darsteller Horst Tappert (1923 – 2008) als ehemaliger Angehöriger eines "Herrenvereins" überführt worden, auf dessen Ethos wohl kaum jener freiheitlich-demokratische Rechtsstaat bauen kann, für den er stand. Ähnliches wurde zuvor schon dem Alten nachgesagt, war aber wohl nur ein Immageproblem. Solcher Zugehörigkeiten waren die Kollegen Fuchs, Arndt, Hübner und Co. jenseits des "Antifaschistischen Schutzwalls" kaum verdächtig, wenn auch sonst ihren Kollegen Klassenfeinden in Sachen Charakterfestigkeit und lange Leitung recht ebenbürtig.


Garanten des Rechtsstaats

Was fieberten wir nicht mit diesen sympathisch steifen alten Herren und ihren dynamisch hörigen "jungen" Kollegen gegen dumme Mörder, fiese Mafiosis und hilflose Opfer. Der von diesen mehr oder weniger geduldigen Herren repräsentierte Staat mochte dröge und sexistisch gewesen sein, rassistisch und kleinbürgerlich sowieso, aber doch immerhin ein Inbegriff amtsmäßiger Integrität. Selbst so ein zwielichtiger Unsympath bzw. missverstandenet Emotollpatsch wie ihn die ARD mit Götz George alias Kriminalhauptkommissar Horst Schimanski ab 1981 gegen die ergrauten Ermittler des ZDF ins Rennen schickte, weil er sich nicht die Schuhe abtrat und auch sonst keine Manieren hatte, war dennoch ein echter Garant unseres sonntäglichen Sicherheitsbedürfnisses, mit dem wir nach ein wenig Grusel beruhigt ins Bett gehen wollten: Die Bösen hinter Gitter, dafür sorgt bei uns die Polizei... 

Amalgan einer komplexen Welt

Mittlerweile ist die Welt komplexer geworden, lässt sich in 90 Minuten Tatort nicht mehr irgendein gesellschaftliches Problem mitreißend problematisieren, sondern eröffnet jedes auf Wikipedia-Niveau CSI-mäßig angeschnittenes Problem gleich eine Kaskade von Anschlusssendungen, Presserauschen und Shit-Storms ob der oberflächlichen und plakativen Behandlung des Themas. Wenn solcherlei Vorhaltungen mal nicht berechtigt sein sollte, dann gibts für diese Folge auch gleich den Grimme-Preis dazu. Die digitale Revolution hat bei der Polizei ebenso Einzug gehalten wie Quotenrgelungen – zumindest im Fernsehen – was sowohl dem Unterhaltungsfaktor als auch der Sache dient. Die Kommissar_innen haben Kinder, die sich gegen die Atomkraft engagieren oder Drogenprobleme haben. Sie fahren mit "Atom-Kraft-Nein-Danke"-Aufklebern auf dem Auto oder mit dem Fahrrad zum Dienst. Sie wurden nicht nur in Duisburg geboren, selbst wenn sie deutsche Beamt_innen sind, sondern auch mal in Kroatien oder der Türkei. Sie ermitteln bei Verdacht des Ehrenmords auch mal in andere Richtungen, und der alte "OstSchuPo" Krause legt sich in der brandenburgischen Provinz schon mal mit Neonazis an. Während "draußen" der selbsternannte NSU unter den Augen der Verfassungsschützer_innen seine Mordanschläge auf Menschen nichtdeutscher Herkunft oder Zuschreibung macht und die echten Kriminaler auf organisierte Kriminalität im "Ausländermilieu" setzen, sind die Tatorte und Polizeirufe des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zwar bunt und eigenwillig geworden, aber irgendwie doch weiterhin staatstragendes Kulturamalgan geblieben: Die Polizei, deine Freundin und Helfer in der Not.

Ok, Geheimdienste kommen bei den Ermittler_innen schon immer schlecht weg. Auch, dass sie rechtsradikale Straftäter decken, haben wir schon gesehen (Teufelskreis 2004, ...). Dabei liegt beim Thema Terrorismus oder "Straftaten mit dem Gepräge des Terrorismus", wie sie das BVerfG seit dem 24. April 2013 nennt, eine gewisse Nähe zur politisch-institutionellen Interessensphäre doch recht nahe – ohne dass mensch dazu Verschwörungstheorien das Wort reden müsste. Nicht destotrotz blieben Drehbücher, die eine Verstrickung von Behörden in die Mordtaten der Sonntagabendgesuchten nahe legten – von exzessiven Einzeltätern ("schwarzen Schafen") abgesehen –, unverfilmt. Der Staat als Ganzer blieb integer, dafür sorgte schon unsere Polizei. Sicherheitsbehörden machen zwar auch Fehler, aber dass sie an der planmäßigen Erzeugung von Unfrieden mitwirken könnten, das sollte nicht das Gefühl sein, mit dem wir am Sonntag Abend in die Nacht gehen sollten. Wem das zu langweilig war, musste eben Privatfernsehen schauen oder Hollywood oder skandinavische Krimis.

NSU und die Umkehrung der Beweislast

Seitdem hier draußen in den Untersuchungsausschüssen von Bundestag und Landtagen, bald auch in den gerichtlichen Verfahren eine unglaubliche Ermittlungspanne die nächste himmelschreiende Ignoranz der Sicherheitsbehörden bei der Verfolgung der NSU-Verbrechen jagt, ist das Unsagbare plötzlich naheliegend geworden: Der Sicherheitsapparat selbst ist an der Erzeugung von Unsicherheit beteiligt. Ein Perpetuum Mobile zwischen behördlich-fiskalischer Selbsterhaltung, kompetenziellen Ressourcenausbaus und dem Bedürfnis nach Erzeugung gerichtsfester Beweisketten. Was für ein Stoff für spannende Abendunterhaltung. Prompt legt Österreich vor ("Zwischen den Fronten"), Bremen folgte. Der fiktive Polizeiruf über einen Terroranschlag auf ein Stadion in München und das weitgehende Versagen von LKA und Staatsschutz musste 2011 noch auf einen späteren Sendeplatz verlegt werden – aus Gründen des Jugendschutzes, wie es beim Bayerischen Rundfunk hieß.

Die aktive Beteiligung oder doch wenigsten Begünstigung terroristischer Aktivitäten durch staatliche Stellen ist also salonfähig geworden. Als wäre das alles vorher nicht sichtbar gewesen, wären all die Opfer rassistischer Gewalttaten, das Wegschauen der Polizei in den "national-befreiten Zonen" – zuvor üble Nachreden – plötzlich glaubwürdig geworden. Ein Szenario, dass sich vom Neonazi-Thema auf das Islamismus-Theorem übertragen lässt. Dabei gibt es zahlreiche Fälle, die ein aktives Manipulieren von Polizei und Justiz durch die Nachrichtendienste belegen – wenn auch bisher stets gegen linke Aktivist_innen (z.B. im Schmücker-Verfahren oder bei den Ermittlungen gegen die militanten Gruppen).

Auch wenn Bundesinnenminister Friedrich in geschickter Routine stets betont, dass als "Lehre" aus dem Versagen der Sicherheitsbehörden nur die Einsicht in die Notwendigkeit einer engeren Zusammenarbeit und institutionellen Verzahnung von Polizei und Geheimdiensten gezogen werden könne, bleibt doch zu hoffen, dass der NSU-Skandal mehr als nur ein Medienspektakel ist. Vielleicht kann er in ein paar Jahren sogar als eine Zäsur betrachtet werden, die für den Sicherheitsdiskurs eine ebenso prägende Wirkung hatte, wie zuvor der 11. September 2001: Die Strukturelle Ignoranz der Sicherheitsbehörden galt ehedem als nicht diskutabel, institutionalisierter Rassismus und machtpolitische Behördenparanoia als nicht justizierbares Argument. Es spricht einiges dafür, dass sich in Folge der Selbstzerlegung der Sicherheitsorgane in den Untersuchungsausschüssen, die nicht auf persönliches, sondern institutionelles Versagen hinweist, der diskursive Gebrauch und die Wahrnehmung des Sicherheitsbegriffes zugunsten freiheitsbejahender Verständnisse verschieben könnte. Die für die Zeit nach 09/11 gemachte Beobachtung von einer „Umkehr der Beweislast“, der zufolge nicht die Einführung von Sicherheitsgesetzen einer besonderen Rechtfertigung bedarf, sondern deren Aussetzung oder gar Abschaffung, könnte sich in diesem neuen Diskussionsrahmen relativieren oder gar umkehren. In Tatort und Polizeiruf wurde damit schon begonnen – wenn auch bisher nur als bürgerrechtliches Aufbegehren von exzessiven Einzelermittler_innen.