»Der verlorene Sohn« | Polizeiruf vom 13. Oktober 2013 (MDR)
Wilder Osten, alles Nazis und/ oder Verwandte, gelb-grüne Farbmelancholie, Interessenkonflikte aller Orten in Mochdeburch (Aussprache nach ortsüblicher Mundart, die hörbar von den heimatdeutschen Lokalpatrioten nicht beherrscht wurde).
Handlung
(Quelle: daserste.de) Hauptkommissarin Brasch wird an den Tatort gerufen. In einem neu eröffneten Fitnessstudio im Zentrum von Magdeburg liegt ein toter schwarzer Mensch. Dem ersten Anschein nach wurde der Mann bei einem Diebstahl überrascht und erschossen. Doch nicht nur die Tatwaffe, eine Kalaschnikow, ist in diesem Fall ungewöhnlich. Der Asylsuchende war bereits tot, als auf ihn geschossen wurde.
Da ein rechtsextremistischer Hintergrund der Tat
nicht auszuschließen ist, muss Doreen Brasch diesen Fall zu ihrer
Überraschung gemeinsam mit Hauptkommissar Jochen Drexler ermitteln.
Farbspuren von Gotcha-Munition an der Kleidung des Toten führen die
Ermittler zu rechtsextremen Jugendlichen.
Doch die Tat ist ihnen
nicht nachzuweisen. Erst als ein weiterer Mord geschieht, ahnen Brasch
und Drexler die wahren Hintergründe für den Tod des Asylbewerbers. Doch
den Kommissaren fehlen Beweise, mit denen sie auch die Hintermänner
überführen können. Im letzten Moment
gelingt es Brasch und Drexler, einen weiteren Mord zu verhindern und die
Drahtzieher in diesem Fall zu überführen.
Rechtliche Bewertung
Die unorthodoxe Herangehensweise der neuen Kommissarin wird eingeführt mit einer dienstlichen Motorradfahrt in alkoholisiertem Zustand. Ob ihr eine Trunkenheit im Straßenverkehr (§ 316 StGB) strafrechtlich nachgewiesen werden kann, hängt vom Blutalkoholgehalt und der Frage ab, ob sie absolut oder nur relativ fahruntüchtig war. Vor dem Hintergrund der noch folgenden Straftaten von Hauptkommissarin Doreen Brasch dürfte ein etwaiges Strafverfahren wegen einer Trunkenheitsfahrt höchst wahrscheinlich nach § 54 StPO wegen Geringfügigkeit eingestellt werden.Generell zeichnen sich die Ermittlungsmethoden von Brasch durch Ungeduld und eine ausgeprägte Indifferenz gegenüber strafprozessualen Vorgaben und Instanzen aus. So z.B. (Vorsicht, Klassiker!) als sie einen Toilettenbesuch vortäuscht, um ohne Einverständnis der Hausrechtsinhaberin, ohne Durchsuchungsbeschluss und ohne anderweitige Ermittlungsbefugnis (z.B. wegen Gefahr im Verzug) den Spiegelschrank des ersten Opfers und dessen Familie durchsucht.
Ihr Kollege, Hauptkommissar Jochen Drexler, von seiner Kollegin gelegentlich auch "Paragraphendrexler" genannt, hat durchaus den Anspruch, sein Verhalten an der geltenden Rechtslage zu orientieren. Dennoch bleiben Streitfragen zu seiner Ermittlungstätigkeit offen: Bei der ersten Vernehmung der Ehefrau des Opfers bittet er deren anwesenden Anwalt um eine Übersetzung seiner Fragen ins Französische. Tatsächlich täuscht er seine Französischunkenntnis jedoch vor, um das Abspracheverhalten zwischen Anwalt und Zeugin zu "belauschen", woraus er auch weitere Ermittlungsansätze gewinnt. Ob es sich hierbei noch um eine zulässige kriminalistische List oder schon um eine unzulässige Vernehmungsmethode handelt, kann unterschiedlich beurteilt werden und bedarf obergerichtlicher Klärung.
Insgesamt zwei Mal spricht Drexler auf Französisch mit der minderjährigen Tochter des Opfers, beim ersten mal in Abwesenheit der Mutter, beim zweiten Mal kommt diese hinzu. Beim ersten Mal geht es jedoch nicht um Ermittlungsinhalte, so dass der Grundsatz, wonach Minderjährige nur in Anwesenheit ihrer Erziehungsberechtigten befragt werden dürfen, nicht relevant wurde. Die zweite Situation ist komplizierter: Die Mutter hatte erklärt, ohne ihren Anwalt keine Aussage zu machen, was die Ermittler_innen akzeptieren, obwohl ihr als Zeugin ein Aussageverweigerungsrecht nicht unbedingt zukommt. Als Brasch dann aber die illegal sichergestellte Arzneiflasche aus dem Spiegelschrank präsentiert, fragt Drexler das Mädchen, ob ihr Vater herzkrank gewesen sei und die Tabletten genommen hätte. Konsequent wäre es gewesen, auch bei dieser Befragung die Ankunft des Anwalts abzuwarten, wobei ein Anspruch hierauf nicht besteht.
Schwerer wiegende Fehler sind in der mehrfachen Befangenheit der Barsch zu sehen, die nicht nur mit dem Hauptverdächtigen liiert war, sondern deren Sohn sich im weiteren Ermittlungsverlauf als dringend tatverdächtig herausstellt. Dies trägt nicht nur dazu bei, dass sie die Richtung der Ermittlungen manipuliert – auch wenn es scheinbar nicht zu einer Strafvereitelung gekommen ist –, sondern führt auch mehrfach zu gewalttätigen Übergriffen ihrerseits in Vernehmungssituationen. Einige davon können als Notwehrprovokation in Garantenstellung oder verbotene Vernehmungsmethoden qualifiziert werden, andere Handlungen sind als Aussageerpressung (§ 343 StGB) zu werten. Am deutlichsten wird dies, als Brasch in eine Fußballkneipe des 1. FCM geht, um Alibis zu überprüfen. Ohne sich als Polizistin zu erkennen zu geben, provoziert sie den Wirt zunächst, indem sie den 1. FCM schlecht macht und sich als Fan des gegnerischen Leipziger Clubs ausgibt. Auf Ordnungsrufe des Wirts reagiert sie nicht, sondern wirft den Fan-Wimpel in die Spüle, woraufhin der Wirt zum Schlag ausholt. Sie wehrt den Angriff nicht nur erfolgreich ab (Notwehrprovokation), sondern nutzt die Situation, sich nunmehr zu erkennen gebend, um dem Wirt einen vermeintlichen Angriff auf eine Polizeibeamtin vorzuhalten und ihn so zu einer Aussage zu bewegen (verbotene Vernehmungsmethode). Erst jetzt befragt sie ihn überhaupt nach den Alibis der Tatverdächtigen. Als dies nicht zum Erfolg führt, hält sie sich selbst ein Messer an den Hals, das sie mit einem Tuch so umfasst, dass nur die Fingerabdrücke des Wirts darauf sind, und droht sich selbst zu verletzen, um Beweise für einen vorgetäuschten Angriff zu fingieren (verbotene Vernehmungsmethode, Nötigung).
In einer anderen Szene befragt Brasch den Chef eines Fitnessstudios und drückt diesem mit ihrem Körpergewicht die Gewichthebestange von oben auf die Brust. Damit bewegt sie sich schon an der Grenze zur Aussageerpressung und erfüllt den Tatbestand der Körperverletzung im Amt.
Nachdem ihr Verwandtschaftsverhältnis zu einem Tatverdächtigen für ihren Vorgesetzten offenkundig geworden ist und dieser sie von der Ermittlung ausgeschlossen hat, veranlasst sie im Alleingang höchst riskante Maßnahmen, um Verhaftungen durchzuführen. Dabei gefährdet sie nicht nur ihr eigenes, sondern auch das Leben einer Zeugin, welche sie mittelbar als Lockvogel einsetzt. Bei dem vorhersehbaren Schusswechsel kommt einer der Täter ums Leben, die Zeugin wird angeschossen. Die Eskalation zeigt, warum bei persönlicher Befangenheit die Professionalität auf der Strecke bleiben kann und dass daher ein Ausschluss von befangenen Ermittlungsbeamt_innen sinnvoll ist.
Allerdings bleiben die Gesetzesverstöße von Hauptkommissarin Brasch nicht unkommentiert. Mit Drexler ist ihr ein nüchterner Beamtencharakter an die Seite gestellt worden, der die Rechtslage reflektiert und durch sein überlegtes Vorgehen beweist, dass Polizeiarbeit auch unter Einhaltung von Gesetzen möglich ist.
Auch ein unsympathischer und unmoralischer Anwalt darf mal wieder nicht fehlen. Der Charakter ist nicht nur stark überzeichnet (selbst in Magdeburg gibt es genug Anwältinnen und Anwälte, um komplizierte juristische Fragen auf völlig verschiedenen Rechtsgebieten nicht von nur einem Anwalt bearbeiten zu lassen), sondern er übt sein Mandat auch rechtlich unzulässig aus: Während einer Vernehmung von fünf Tatverdächtigen vertritt er alle Beschuldigten gleichzeitig. Das verstößt wegen der kollidierenden Interessen von mehreren potentiell Tatbeteiligten gegen das Verbot der Mehrfachverteidigung (§ 146 StPO) bzw. gegen das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen (§ 43a Abs. 4 BRAO). Im vorliegenden Fall trägt der Anwalt angeblich übereinstimmende Aussagen der Beschuldigten vor, die tatsächlich unzutreffend sind und dadurch nur einseitig entlastend wirken können. Dadurch werden die übrigen Mandant_innen in ihrer weiteren Verteidigungsstrategie beeinträchtigt.