Tatortkontrollkommission

unabhängige Kommission zur Untersuchung und Kontrolle der Medialisierung und Visualisierung von Rechtswirklichkeit am Beispiel der ARD-Produktionen "Tatort" und "Polizeiruf 110"

Montag, 28. April 2008

Vielschichtige Handlung ohne Umweltverbund

Tatort vom Sonntag, 27.4.08:
Der oide Depp (Regie: Michael Gutmann, BR)


Sachverhalt:
Die beiden Kripobeamten im Morddezernat München Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl) sind nicht begeistert, sich mit der Wiederaufnahme der Ermittlungen zu einem alten Fall herumschlagen zu müssen. Der zum Polizeipräsidenten aufstrebende Kriminaloberrat Wellisch (Christian Springer) drückt ihnen den Fall trotzdem auf und läßt mit einen Stapel verstaubter Akten auch noch einen neuen "alten" Kollegen ins Büro schieben:
1965 ermordet in München ein Unbekannter zwei "Edel-Prostituierte" Gertrude 'Gina' Echsner (Muriel Roth) und Johanna Wiesnet (Julia Eder) grausam. Jetzt finden Polizisten im abgeschleppten Amischlitten des gerade aus den USA zurückgesiedelten Robert 'Roy' Esslinger (Jörg Hube) zufällig die Tatwaffe. Bei diesem kaltschnäuzigen Ex-Unterwelt- und "Bordellkönig" allerdings beissen sie trotz folgenden Schwächeanfall und Herzinfarkt auf Granit.
Die Ermittlungen werden auch durch den unterschätzten Grantlhuber Kriminalhauptkommissar Bernhard "Opa Sirsch" (Fred Stillkrauth), der den ausgeschiedenen Kollegen Carlo ersetzen soll - vorgeblich keinen Computer bedienen kann und Alkoholiker zu sein scheint - nicht erleichtert.
Die Kripobeamten tauchen ein in das verblasste Münchner Rotlichtmilieu der 60er Jahre. „Roy“ war damals eine viel beachtete Halbweltgröße im Bahnhofsmilieu. Mit gescheitem Taktieren hatte er es verstanden, auch mit den Spitzen der Stadt zu kooperieren. Auch Münchens ehemaliger - inzwischen geschickt vorgeblicher dementer - Polizeipräsident Dr. Landgräber (Gerd Fitz) kann sich an ihn mehr als nur erinnern.
Eine Strafanzeige wegen Körperverletzung durch die beiden späteren Mordopfer wurde seinerzeit bei der Polizei nicht weiter aufgenommen und verfolgt ...
Zu spät stellen sich die Komissare die Frage, ob der neue Kollege so hilflos ist oder ob er nicht geschickt die Ermittlungen bestimmt? Als sich dann seine vorgefertigte Meinung bei den Kollegen nicht durchsetzt, greift dieser zur Selbstjustiz und wird selbst Opfer des damaligen Mörders.

Bewertung:
"Der alte Depp" vom Bayrischen Rundfunk aus München ist ein größtenteils fesselnder Tatort mit den zwei Sympathieträger, den Kriminalhauptkommissaren Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl).
Das Experiment der ungewöhnlichen Handlungsstruktur mit Retrospektiven ist eine gute Idee des auch beim "Fall für zwei"-Detektivkrimi regieführenden Michael Gutmann - in der Tiefe aber nicht immer ganz geglückt.
Insbesondere bleiben die weiblichen Charaktere, vor allem die beiden ermordeten jungen Frauen, nicht weniger auch die wohl amerikanische Frau Esslinger, als Klischee ihrer selbst, im übrigen aber blaß und konturlos in der Handlung stehen.
Die detailgetreue Rekonstruktion der 60er von Nicholas Ofczarek ist zwar beachtlich, doch nach dem raffinierten Wechsel der Zeitebenen bietet schlußendlich die tötliche Auflösung wenig Überraschung. Durch Humor und gute schauspielerische Leistungen wird dies allerdings wett gemacht.
Die Kommission zeigt sich bedenklich, dass der auf Hinweis von "Opa Sirsch" schließlich bei der Staatsanwaltschaft beantragte und nicht einfach nur vollzogene Gentestvergleich von Kommissar Leitmayr so dargestellt wurde, als handle es sich dabei um einen unnötigen bürokratischen Umweg. Gerade das Beispiel dieses Tatorts hat nämlich gezeigt, wie schnell anlässlich antiamerikanischer und antikapitalistischer Vorbehalte gegen menschliche Ekelgestalten der (wohl nicht nur polizeiliche) Verdacht naheliegt, diese müssten auch die gesuchten Mörder sein.

Rechtsverstöße:
  • Hausfriedensbruch in zwei Fällen: z.B. Eindringen und Durchsuchen der Wohnung von Opa Sirsch ohne Durchsuchungsbefehl
  • Nötigung gegenüber Vorgesetzten (Abschlusszene, wiewohl die Kommission hier an der Zweck-Mittel-Relation am Tatbestand der Verwerflichkeit Zweifel hatte)
  • Ungerechtfertigte Benutzung des Blaulichts; StVO §35 (Sonderrechte) und § 38 (Wegerechte)
Umweltbewußtseinsstörungen:
  • Fahren mit nicht den (EU-) Umweltrichtlinien und Abgasnormen entsprechenden Fahrzeugs durch den Freistaat Bayern.
  • Auschließliche Benutzung des MIVs (Motorisierter IndividualVerkehr) zur Ermittlungstätigkeit und - wie immer beim Tatort - völlige Missachtung der öffentlichen Verkehrsmittel im Umweltverbund.

Montag, 21. April 2008

Das Kettensägenmascara – Eifersucht, Vorteilsnahme und radioaktiver Biomüll in Köln

Tatort vom Sonntag, 20.04.2008:
Müll (Regie:
Kaspar Heidelbach, WDR)

Sachverhalt:
»Verstümmelte Frauenleiche nach Feuer auf Müllkippe gefunden«, titelt die Sensationspresse und setzt Staatsanwalt von Prinz unter Handlungsdruck: Doch die Spurensuche der Kölner Kommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) stockt. Nach dem Brand ist die Leiche nicht mehr identifizierbar, Arme, Beine und Kopf der Toten wurden abgetrennt und sind unauffindbar.
Zeugen sind nicht in Sicht. Weder Peter Esser, der Geschäftsführer der kleinen Entsorgungsfirma, auf deren Gelände der verkohlte Körper gefunden wurde, noch der jungen Gärtnerin Kaja Krumme (Elena Uhling), die den Brand in den frühen Morgenstunden bei der Feuerwehr gemeldet hatte, ist etwas Verdächtiges aufgefallen. Nur der eigenbrötlerische Müllsammler Willy (Hans Diehl) aus Ballaufs Nachbarschaft weiß, dass es auf dem Recycling-Hof vor zwei Jahren bereits öfter gebrannt hat.
Von der Müllmafia ist die Rede, die gezielt kleinere Recycling-Unternehmen unter Druck setzt. Die Kommissare wollen Essers Sekretärin befragen. Doch die ist unauffindbar. Schnell rückt der Müllskandal in den Blickwinkel, denn Esser selbst wurde noch vor wenigen Jahren von Müllgiganten erpresst, die seinen Recyclinghof übernehmen wollten. Die Sekretärin, Frau Bubenheim, sollte dazu vor Gericht aussagen und war nicht erschienen - ihre Wohnung ist ordentlich und verlassen. Nur die Nachbarin will am Vorabend ihres Verschwindens einen Streit mit Esser in deren Wohnung wahrgenommen haben.
Der Verdacht fällt auf Esser, zwar gibt es weder Anhaltspunkte, dass es sich bei der Toten wirklich um die vermisste Sekretärin handelt noch dafür, warum Esser eine gerichtliche Aussage seiner Sekretärin verhindern wollte. War er doch selbst Opfer der Erpressung. Allerdings finden die Ermittler Hinweise, dass damals die Erpressung Essers just mit einer Anzeige aufhörte, in deren Zusammenhang der Anwalt Essers, Dr. Adam, der Staatsanwaltschaft einen Ordner mit Belastungsmaterial gegen die »Müllmafia« übergeben wollte.Zu einer Übergabe des Beweismaterials kam es jedoch nicht, statt dessen hörten nicht nur die Brandstiftungen auf Essers Recyclinghof auf, sondern wurde auch eine beträchtliche Summe Geldes auf dessen Konto überwiesen. Hat Esser die Erpresser am Ende selbst erpresst und wollte er deswegen die Aussage seiner Sekretärin verhindern?
Die Ermittler setzen ihn fest und verhören ihn in Anwesenheit seines Anwalts Dr. Adam. Dieser verbietet seinem Mandanten aber jede Aussage, der wiederum beteuert, die Erpressung habe nichts mit dem verbrannten Leichnam zu tun. Trotz geringen Tatverdachts bleibt Esser in Untersuchungshaft.
Inzwischen meldet der Gärtnersjunge Dennis Weber (Frederick Lau), dessen Vater Frank Weber (Wotan Wilke Möhring) mit der jungen Gärtnerin Kaja Krumme neu leiert ist, seine Mutter als vermisst. Die Polizei unternimmt einen DNA-Test bei der Toten und vergleicht ihn mit Haarproben, die von der vermissten Frau Weber stammen sollen. Der Test bleibt jedoch ohne Übereinstimmung. Auch ein weiterer Vergleich mit DNA-Proben der Sekretärin Bubenheim bleibt ergebnislos. Esser muss aus der Haft entlassen werden.
Als Kommissar Ballauf den Anwalt Essers in dessen Büro zu weiteren Ermittlungen aufsuchen will, stellt er fest, dass dieser nicht nur eine Kanzlei betreibt, sondern auch eine Recyclingfirma, die sich auf den Handel mit Müll spezialisiert hat. Der Verdacht liegt nahe, dass Dr. Adam am Erpressungsversuch Essers kräftig mitverdient hat.
Unterdessen stellt die Gerichtsmedizin radioaktive Strahlung am Leichnam der unbekannten Toten fest. Offenbar war sie nach ihrem Tot mit kontaminiertem Müll in Kontakt gekommen. Das Dezernat für organisierte Wirtschaftskriminalität schaltet sich ein auf der Suche nach schweren Umweltdelikten. Bei der Durchsuchung von Essers Recyclinghof findet die Polizei radioaktiv verseuchten Schlamm, der als Bio-Müll deklariert war und einen Finger der Toten. Als Müllsammler Willy dann auch noch einen Ring der Toten ans Licht bringt, wird das Geheimnis um die Identität der Toten gelüftet. Nicht Frau Bubenheimer ist das Opfer und Esser nicht der Mörder, er schickte seine Sekretärin aus Furcht vor der Müllmafia und Sorge um ihre Leben auf eine spanische Insel. Er hatte auch seine Firma nur noch zum Schein aufrecht erhalten, um so den illegalen Giftmüll im Auftrag seines Anwalts zu entsorgen.
Die Tote ist tatsächlich die vermisste Mutter des schicksalgezeichnet dreinblickenden Dennis. Die junge, besitzergreifende Geliebte von Frank Weber, Kaja Krumme, hatte die unliebsame Nebenbuhlerin (möglicherweise) in Notwehr erschlagen und ihr in Verdeckungsabsicht mit der Kettensäge die Gliedmaßen und den Kopf abgetrennt, bevor sie den Rest der Leiche auf dem Recyclinghof zu entsorgen versuchte, nachdem ein Verbrennungsversuch gescheitert war. Unter den frisch gesetzten Bäumen der Gärtnerei finden sich denn auch die restlichen Gliedmaßen der Toten. »Du hast doch auch immer gesagt, dass sie verschwinden muss!«, raunt sie ihrem Liebsten bei der Verhaftung zu und dieser guckt nur genauso hilflos dämlich wie im Rest des Films.

Bewertung:
"Der neue Kölner Tatort ist ein Männerfilm. Wo man hinsieht: kauzige, spießige, aufgeblasene, waidwunde Männer. Ein Panoptikum der Neurosen und Charakterschwächen stellen Achim Scholz (Buch) und Kaspar Heidelbach (Regie) aus. Der Titel dieser Folge, Müll, kann demnach auch auf diese hintergründige Ebene des Krimis bezogen werden. »Viel seelischer Unrat wartet auf seine Entsorgung.«" So der Kommentar von Stefan Fischer in der Süddeutschen Zeitung. Die Kommission kann sich dem nur anschließen, wiewohl nicht ohne ein "ja aber": Ein Männertatort mag es gewesen sein, dafür kommt er jedoch auch nicht ohne die größte Angst des männlichen Geschlechts aus. So wir Freud trauen dürfen, ist das die Kastrationsangst. Schade nur, dass es mal wieder keinen Mann getroffen hat, sondern nur die lästige Nebenbuhlerin, ein Szenario, dass denn auch dem Mann wieder gefallen kann.
Dennoch unterstreicht die Kommission den – wenn auch makaberen – Fortschritt, der darin zum Ausdruck kommt, dass Frauen durchaus als gleichberechtigte Täter in Betracht kommen, wenn es um schwere Verbrechen oder schwierig zu bewerkstelligende Verdeckungstechniken geht. Mal eben mit der Kettensäge eine Leiche beseitigen, am Tage ein paar Bäume pflanzen und den Stadtpark begrünen, am Abend dann die Steuererklärung vorbereiten, während der geliebte Mann nur treu-doof zuschaut, das ist ein Frauenbild, das mit alten Stereotypen aufräumt. Es ist gar nicht lange her, da kamen Frauen nur als mittelbare Täter oder als Anstifterinnen kräftiger Männer im TV-Krimi vor. Handelten sie selbst, war meist Gift im Spiel oder ein handlicher Damenrevolver. Das Motiv bleibt indes diesem Klischee einigermaßen treu.
Weiterer Kritikpunkt ist die Sorglosigkeit, mit der Nebenrollen ohne Wiederbelebungsversuche geopfert werden. Konkret wurde der Müllsammler Willy von Kaja mit einem Elektroschocker getastet, so dass dieser einen langsamen Herzinfakt erleidet und in den Armen von Kommissar Ballauf krepiert. Anstatt ihn aber mit einer Herzdruckmassage wiederzubeleben, eine Maßnahme, die jede/r Autorfahrer/in beherrschen muss, kommt auch hier wieder nur die Großaufnahme eines betreten dreinguckenden Gesichtsausdrucks in die Kamera. Dabei ist es so wichtig, in entsprechenden Situationen sofort und ohne falsche Scheu zu reagieren. Wie immer gilt auch hier: Nur wer nichts tut, macht etwas falsch! -- Für einen Polizisten in Garantenstellung wird bei unterlassenen Hilfemaßnahmen aus einer unterlassenen Hilfeleistung nach dem Strafgesetzbuch schnell ein Totschlag durch Unterlassen, wenn die Herzdruckmassage zur Rettung von Willy geführt hätte.
Darüber hinaus irritiert die Darstellung des korrupten Anwalts Adam. Problematisch ist dabei nicht so sehr, dass er als Strafverteidiger die typische Anwaltsrolle als Spielverderber schneller Ermittlungserfolge einnimmt oder als menschliches Arschloch an illegalen Müllverschiebungen mitverdient, kritisiert wird vielmehr das so erzeugte Bild, wonach anwaltliche Tätigkeit und Firmenchefsein eine Selbstverständlichkeit sind. Tatsächlich aber ist die Advokatur ein freier Beruf und die Nebentätigkeit von AnwältInnen stark begrenzt. Die Anwaltskammer achtet auch penibel darauf, dass ein Interessenkonflikt zwischen der Mandantenverteidigung und eigenen wirtschaftlichen Interessen – wie er hier dargestellt wurde – nicht schon institutionell bestehen. Das Bild des korrupten Anwalts mag nicht lebensfern sein, aber so stimmt es nicht.
Insgesamt hält sich jedoch die Darstellung polizeilichen Verhaltens weitgehend im Rahmen der Rechtsordnung. Wo Grauzonen der Rechtmäßigkeit existieren, werden sie als solche thematisiert (z.B. die Frage, ob ein dringender Tatverdacht die Untersuchungshaft von Esser rechtfertigt). Allerdings stellte die Kommission mehrere schwere Verstöße gegen Ermittlungsgrundsätze fest:
  • das Einschleichen bei Willy unter Vorgabe rein »platonischen Interesses« für dessen Motorrad-Fabel und dessen amtliche Befragung ohne vorherige Belehrung,
  • die Vernehmung des Zeugen Dennis Weber ohne elterliche Zustimmung (umstritten!).

ERSTE HILFE für Öffentlich-Rechtliche: 1. Hilfe immer sofort leisten, ohne und gerade in Anstalten!

Wichtigste Notregel der lebensrettenden Sofortmaßnahmen:

Sollte ein Lebewesen keine Atmung bzw. Puls haben, nicht heulen oder schreien sondern:
Notruf 112 absetzen, Atemwege (Mund, Nase) kontrollieren, neben den Brustkorb knien und sofort Herzdruckmassage mit beiden gestreckten Armen (Hände übereinander) auf unteres Drittel des Brustbeins mit eigenen Körpergewicht beginnen:
1 1/2 Mal pro Sekunde bis zum Eintreffen der Rettungskräfte ununterbrochen durchalten!
Wer zu zweit ist: Beatmung:
je 30 × Drücken (3 Mal pro Minute!) 2 kräftige Beatmungen (je 1 Sekunde) durch freie Nase oder Mund durchführen.

Die Herzdruckmassage führt selten zur "Wiederbelebung" (dann stabile Seitenlage), sondern hat vornehmlich die Aufrechterhaltung des Blut- und Luftkreislaufes (Imitation des Herzschlages/Lungenatmung und damit Sauerstoffversorgung des Gehirns und lebenswichtiger Organe) bis zur Wiederherstellung des natürlichen Herzschlages/Atmung durch den Notarzt/Rettungssanitäter mit Debrillator und/oder Medikamten zum Ziel.

Weitere lebenswichtige Hinweise zur 1. HILFE: http://www.drk-mobilservice.de/erstehilfe !

Rechtliche Bewertung:

Strafgesetzbuch - Besonderer Teil (§§ 80 - 358, 28. Abschnitt)
- Gemeingefährliche Straftaten (§§ 306 - 323c)
§ 323c : Unterlassene Hilfeleistung

Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ... ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

Weitere Hinweise: http://de.wikipedia.org/wiki/Rechtliche_Aspekte_bei_Hilfeleistung

Es muß scharf kritisiert werden, daß in öffentlich-rechtlichen Krimis sehr selten überhaupt oder fachgerechte Erste Hilfe geleistet wird.

Unterlassene Hilfeleistung verstößt nicht nur gegen das Gebot der Menschlichkeit, sondern auch gegen Strafgesetze! Polizeibeamtinnen und Beamte stehen nämlich als Amtsträger in einer „Garantenstellung“ gegenüber den Bürger/innen, deren Schutz sie dienen sollen. Daher trifft sie eine besondere Verantwortung für deren Schutz, die auch mit der Überwachung von Gefahrenquellen verbunden sein kann (vgl. § 13 StGB). Wer den erhöhten Pflichten seiner Garantenstellung, die er Schutzbedürftigen Personen oder rechtlich geschützten Interessen gegenüber wahrzunehmen hat, nioht nachkommt, begeht u.U. ein unechtes Unterlassungsdelikt. Sie sind dann genauso strafbar, wie wenn sie den Schaden durch eigenes (positives) Tun selbst herbeigeführt hätten. Im Falle unterlassener Hilfeleistung durch z.B. Polizeibeamte oder sonstige zur Hilfeleistung amtlich Verpflichtete wird daraus dann z.B. eine Körperverletzung (§ 223 StGB) oder gar Totschlag (§ 212 StGB) bzw. im Falle fahrlässigen Handelns §§ 229 bzw. 222 StGB; von weiteren disziplinarischen Konsequenzen abgesehen!

Es wäre wahrlich eine leichte aufklärerische "Hilfe", wenn den ZuschauerInnen diese lebensrettende, leichte und selbstverständliche Hilfe im entsprechenden Krimi-Notfall in der Prime-Time der Öffentlich-Rechltichen Sendeanstalten gezeigt werden würde!

Montag, 14. April 2008

Geschlossene Gesellschaft Polizei – Normalisierung des Ausnahmezustands oder Aufklärung über Polizeirealität?

Polizeiruf 110 vom Sonntag, 13.04.2008:
Wie ist die Welt so stille (Regie:
Alain Gsponer, BR)

Sachverhalt:
Am Ortsrand von München wurden das Ehepaar Lilly und Werner Harms sowie ihr 26-jähriger Sohn Holger nachts in ihrem Einfamilienhaus grausam erschlagen. Der Mörder hat ein Schlachtfeld hinterlassen.

Am Tatort sind die beiden Kriminalhauptkommissare Jürgen Tauber (Edgar Selge) und Jo Obermaier (Michaela May) entsetzt über die Brutalität, mit der die Familie regelrecht hingerichtet wurde. Die 20-jährige Tochter Maren hat die Mordnacht nur deshalb überlebt, weil sie zur Tatzeit zufällig bei einer Freundin übernachtete. Sie erleidet einen Schock, als sie am Morgen ins Elternhaus zurückkehrt. Tauber verspricht der verzweifelten Tochter Maren (Naja Bobyleva), den Fall so rasch wie möglich aufzuklären und bittet ihren Verlobten, Thomas Rösch (David Rott), sich verstärkt um Maren zu kümmern. Tauber hat Sorge, dass sie möglicherweise in Lebensgefahr schwebt, solange der Täter nicht gefasst ist.

Sowohl Maren Harms als auch die Presse und Staatsanwalt Voss setzen die Kommissare fortan unter Druck. Aber schon nach den ersten Verhören muss sich Tauber eingestehen, dass er das Versprechen, das er Maren gab, nicht so zügig wie erhofft einlösen kann: Der Kreis der möglichen Täter ist zwar groß, doch letztlich können er und Kollegin Obermaier keinem und keiner der Verdächtigen etwas nachweisen. Damit steigt der Druck auf die Kommissare und ihre Ermittlungsmethoden werden härter. Kommissar Tauber gehen die Bilder der blutüberströmten, misshandelten Leichen vom Tatort nicht aus dem Kopf; er kann sie nicht mehr sehen, sie verfolgen ihn selbst noch in seinen Träumen. Was als Ermittlungseifer begann, wendet sich bald in Angst vor den eigenen Träumen, Schlaflosigkeit und Besessenheit. Erst wenn er »das Schwein geschnappt hat, dass das angerichtet hat«, wird er schlafen können. Um sich wachzuhalten, stürzt Tauber einen Koffeindrink nach dem anderen hinab. Kaum noch Herr seiner selbst, überschreitet Tauber dabei nicht nur seine eigenen Grenzen, sondern auch die Grenzen der Legalität: KollegInnen beschimpft, Zeugen werden körperlich bedroht und misshandelt, falsche Fährten gesetzt und die Verbreitung höchstpersönlicher Initimität im Freundeskreis eines Verdächtigen, dem Freund des ermordeten Sohns der Familie Harms, führt zu dessen sozialer Isolation und schließlich Selbstmord.
Kommissarin Jo Obermaier beobachtet das Verhalten ihres Partners mit wachsender Besorgnis. Nicht unwidersprochen nimmt sie dessen Alleingänge hin, empfiehlt sogar dem leitenden Staatsanwalt den Rückzug Taubers von den Ermittlungen. Dieser hat jedoch einen so hohen Erwartungsdruck aufgestellt, dass er zwar betont, das Verhalten des Kommissars würde zwar »unter normalen Bedingungen«zu dessen Abzug führen, aber angesichts des Personalmangels sollten sich die beiden Polizisten »gefälligst zusammenreißen«. Ein Rechtfertigungsgrund für die bereits begangenen Rechtsverletzungen und Straftaten im Amt, liefert der Staatsanwalt gleich mit: Tauber sei von dem – ausgemärgelten und alkoholsüchtigen, körperlich schlaffen – Zeugen angegriffen worden und hätte sich nur verteidigt. Nach dem Selbstmord des Hauptverdächtigen, bricht Tauber schließlich zusammen und wird auf Kur geschickt. Der Fall wird zu den Akten gelegt.

Erst viel später, beim herbstlichen Pflügen eines Ackers, entdeckt ein Bauer die Tatwaffe – einen Baseballschläger, und an ihm haften noch immer die DNA-Spuren des Mörders. Die DNA führt die neu aufgelebte Sonderkommission zum schnöseligen Verlobten der Überlebenden. Diesem wird jedoch von einer anderen Geliebten ein Alibi gegeben, die mit ihm die Mordnacht im Bett verbracht haben will. Da den Ermittlern, samt des aus der Kur zurückgekehrten Tauber, der DNA-Beweis als Indiz für eine Verurteilung nicht genügt, laden sie Rösch und dessen junge Geliebte zum Parallelverhör. Um die Geliebte zum Sprechen zu bringen, verleiten sie Rösch zu der Aussage, der Sex mit Maren Harms sei viel besser und die Geliebte nur so ein Zeitvertreib nebenher. Diese Aussage wird life in das Vernehmungszimmer der jungen Frau übertragen, wo diese unter Tränen einräumt, dass sie beim Erwachen in der Mordnacht festgestellt habe, dass Rösch nicht mehr im Bett sei. Als er später wiederkam, sei er kalt gewesen. Auch diese Aussage wird life über Lautsprecher in das Vernehmungszimmer von Rösch übertragen, wo Tauber zum letzten Schlag ausholt und ihn an seiner Eitelkeit packt. Er gesteht die Tat.
Tauber berichtet Maren Harms, die ungläubig über eine mögliche Verstrickung ihres Freundes in dessen Büro das Ende der Vernehmung abgewartet hat, von dem Geständnis. Worauf sich diese einen als Aservat beschlagnahmten Baseballschläger nimmt und Rösch erschlägt.
Quelle: ard.de

Bewertung:
Dem jungen Regisseur Alain Gsponer ist als Debütkrimi ein bemerkenswert befremdlicher und zugleich auswegloser Polizeiruf 110 gelungen. »Selten hat ein TV-Krimi die Polizeiarbeit so gut dargestellt.«, schreibt die Süddeutsch Zeitung und wir fragen uns, woher kennt die Süddeutsche Zeitung deutsche Polizeiarbeit? Dennoch honoriert die Kommission die außergewöhnliche Direktheit mit der Themen wie Polizeigewalt, Zeugenkriminalisierung, gesellschaftliche Ausschlusswirkung, Homophobie und medialer Druck auf die ErmittlerInnen hier inszeniert wurden. Außergewöhnlich klar erfolgte auch die Benennung diverser Tabubrüche als Rechtsverletzung, ja sogar Folter. Undzwar nicht durch irgendeinen Verdächtigen oder dessen Verteidiger, sondern durch die Kollegin selbst, die sogar remonstriert. Dass diese Remonstration ohne Erfolg blieb, dass der leitende Staatsanwalt die Rechtsverletzungen nicht nur hinnahm, sondern auch vertuschte, mag konsequent sein. Ging doch der Ermittlungsdruck und die unreflektierte Hexenjagd gegen den Hauptverdächtigen vor allem von ihm aus. Die Kommission fragt sich jedoch, ob es bei einer bloßen Darstellung der Polizeiarbeit als menschenrechtswidrig und menschenunwürdig - und zwar sowohl für die Opfer von Polizeiarbeit wie für die PolizeibeamtInnen selbst – als Aufklärung genügen kann. Der Film weist keine Perspektive auf, er ist reiner Fatalismus. Tauber tut, was von ihm erwartet wird, zerbricht daran und geht in Kur. Dort reflektiert er zwar über die Unmöglichkeit von Polizeiarbeit, doch erscheint auch das wie reinster Selbstschutz. Wer eine unmögliche Aufgabe zu erledigen hat, kann eben nichts richtig tun. Persönliche Konsequenzen, die zu einer Selbstkorrektur des Apparats Polizei und/oder Justiz führen könnten, gibt es nicht. Weder gibt es ein Echo der Medien über die unmögliche Polizeiarbeit noch dienstrechtliche Konsequenzen. Der Zuschauer leidet nur mit dem Leid der Ermittler, der Ausweglosigkeit der Situation, die sich mit jedem Fehltritt der Polizisten nur noch tiefere Wunden und immer größere Betroffenheit, nur noch mehr Mitleid erzeugt. Schließlich sind es nicht die menschliche Fähigkeiten, die zur Lösung des Verbrechens führen, sondern Kommissar Zufall und die Technik (hier: DNA-Test). Es bleibt den Menschen überlassen, durch schmutzige Tricks, der Wahrheit zum Siege zu verhelfen und den zurückgelassenen Opfern ihrem unmöglichen Schicksal zu überlassen. Ein Versagen auf ganzer Linie.

Die Kommission gibt zu bedenken, dass diese mutige und wichtige Thematisierung von Polizeiarbeit den Zuschauern zwar einen Einblick in die geschlossene Gesellschaft der Justiz zu geben vermag und damit auch einen wichtigen Beitrag zur Demokratisierung und Kontrolle von Polizeiarbeit leistet. In der dargestellten Weise gelingt es jedoch nicht, eine wirkliche Debatte über Legitimität, Sollen und Können von polizeilicher Ermittlungstätigkeit als innerer Widerstand gegen die Unmöglichkeit dieses System bei den Zuschauern zu erzeugen. Die Konsequenzlosigkeit bei amtlicher Rechtspflichtverletzung, die Selbstverständlichkeit, mit der polizeiliche Gesetzesübertretung unter den Teppich gekehrt wird und die Lösung: »Wer so abscheuliches tut, dem muss gleiches wiederfahren!«, sorgen eher dafür, dass der Zuschauer sich damit abfindet. Wenn dieses fortgesetzte Unrecht wirklich Polizeiarbeit sein soll, dann muss mensch sich wohl damit abfinden, dass, wer Täter finden will, auch Opfer hinnehmen muss.

Nicht nur die Kommission weiß, dass dies weder der Polizeiarbeit in Deutschland gerecht wird noch für die Aufklärung der Zuschauer, was immer auch Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sein muss, geeignet sein kann. Lösungswege gibt es immer und der Mensch kann sich entscheiden. Dies zu thematisieren, notfalls auch gegen die Sympathieträger, wäre mit Blick auf die Quoten vielleicht noch mutiger gewesen, geboten wäre es allemal.

Strafbarkeit der Beteiligten:
- dauernde Vernehmung von Verdächtigen ohne Belehrung
- verbotene Vernehmungsmethoden
- Nötigung im Amt
- Körperverletzung im Amt
- Strafvereitelung im Amt
- uneidliche Falschaussage
- Verstoß gegen Dienstvorschriften
- Verstoß gegen Datenschutzbestimmungen / Informationelle Selbstbestimmung

Sonstiges:
- Verstoß gegen gesunden Menschenverstand und Tarifvertragsbestimmungen