Tatortkontrollkommission

unabhängige Kommission zur Untersuchung und Kontrolle der Medialisierung und Visualisierung von Rechtswirklichkeit am Beispiel der ARD-Produktionen "Tatort" und "Polizeiruf 110"

Montag, 21. April 2008

Das Kettensägenmascara – Eifersucht, Vorteilsnahme und radioaktiver Biomüll in Köln

Tatort vom Sonntag, 20.04.2008:
Müll (Regie:
Kaspar Heidelbach, WDR)

Sachverhalt:
»Verstümmelte Frauenleiche nach Feuer auf Müllkippe gefunden«, titelt die Sensationspresse und setzt Staatsanwalt von Prinz unter Handlungsdruck: Doch die Spurensuche der Kölner Kommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) stockt. Nach dem Brand ist die Leiche nicht mehr identifizierbar, Arme, Beine und Kopf der Toten wurden abgetrennt und sind unauffindbar.
Zeugen sind nicht in Sicht. Weder Peter Esser, der Geschäftsführer der kleinen Entsorgungsfirma, auf deren Gelände der verkohlte Körper gefunden wurde, noch der jungen Gärtnerin Kaja Krumme (Elena Uhling), die den Brand in den frühen Morgenstunden bei der Feuerwehr gemeldet hatte, ist etwas Verdächtiges aufgefallen. Nur der eigenbrötlerische Müllsammler Willy (Hans Diehl) aus Ballaufs Nachbarschaft weiß, dass es auf dem Recycling-Hof vor zwei Jahren bereits öfter gebrannt hat.
Von der Müllmafia ist die Rede, die gezielt kleinere Recycling-Unternehmen unter Druck setzt. Die Kommissare wollen Essers Sekretärin befragen. Doch die ist unauffindbar. Schnell rückt der Müllskandal in den Blickwinkel, denn Esser selbst wurde noch vor wenigen Jahren von Müllgiganten erpresst, die seinen Recyclinghof übernehmen wollten. Die Sekretärin, Frau Bubenheim, sollte dazu vor Gericht aussagen und war nicht erschienen - ihre Wohnung ist ordentlich und verlassen. Nur die Nachbarin will am Vorabend ihres Verschwindens einen Streit mit Esser in deren Wohnung wahrgenommen haben.
Der Verdacht fällt auf Esser, zwar gibt es weder Anhaltspunkte, dass es sich bei der Toten wirklich um die vermisste Sekretärin handelt noch dafür, warum Esser eine gerichtliche Aussage seiner Sekretärin verhindern wollte. War er doch selbst Opfer der Erpressung. Allerdings finden die Ermittler Hinweise, dass damals die Erpressung Essers just mit einer Anzeige aufhörte, in deren Zusammenhang der Anwalt Essers, Dr. Adam, der Staatsanwaltschaft einen Ordner mit Belastungsmaterial gegen die »Müllmafia« übergeben wollte.Zu einer Übergabe des Beweismaterials kam es jedoch nicht, statt dessen hörten nicht nur die Brandstiftungen auf Essers Recyclinghof auf, sondern wurde auch eine beträchtliche Summe Geldes auf dessen Konto überwiesen. Hat Esser die Erpresser am Ende selbst erpresst und wollte er deswegen die Aussage seiner Sekretärin verhindern?
Die Ermittler setzen ihn fest und verhören ihn in Anwesenheit seines Anwalts Dr. Adam. Dieser verbietet seinem Mandanten aber jede Aussage, der wiederum beteuert, die Erpressung habe nichts mit dem verbrannten Leichnam zu tun. Trotz geringen Tatverdachts bleibt Esser in Untersuchungshaft.
Inzwischen meldet der Gärtnersjunge Dennis Weber (Frederick Lau), dessen Vater Frank Weber (Wotan Wilke Möhring) mit der jungen Gärtnerin Kaja Krumme neu leiert ist, seine Mutter als vermisst. Die Polizei unternimmt einen DNA-Test bei der Toten und vergleicht ihn mit Haarproben, die von der vermissten Frau Weber stammen sollen. Der Test bleibt jedoch ohne Übereinstimmung. Auch ein weiterer Vergleich mit DNA-Proben der Sekretärin Bubenheim bleibt ergebnislos. Esser muss aus der Haft entlassen werden.
Als Kommissar Ballauf den Anwalt Essers in dessen Büro zu weiteren Ermittlungen aufsuchen will, stellt er fest, dass dieser nicht nur eine Kanzlei betreibt, sondern auch eine Recyclingfirma, die sich auf den Handel mit Müll spezialisiert hat. Der Verdacht liegt nahe, dass Dr. Adam am Erpressungsversuch Essers kräftig mitverdient hat.
Unterdessen stellt die Gerichtsmedizin radioaktive Strahlung am Leichnam der unbekannten Toten fest. Offenbar war sie nach ihrem Tot mit kontaminiertem Müll in Kontakt gekommen. Das Dezernat für organisierte Wirtschaftskriminalität schaltet sich ein auf der Suche nach schweren Umweltdelikten. Bei der Durchsuchung von Essers Recyclinghof findet die Polizei radioaktiv verseuchten Schlamm, der als Bio-Müll deklariert war und einen Finger der Toten. Als Müllsammler Willy dann auch noch einen Ring der Toten ans Licht bringt, wird das Geheimnis um die Identität der Toten gelüftet. Nicht Frau Bubenheimer ist das Opfer und Esser nicht der Mörder, er schickte seine Sekretärin aus Furcht vor der Müllmafia und Sorge um ihre Leben auf eine spanische Insel. Er hatte auch seine Firma nur noch zum Schein aufrecht erhalten, um so den illegalen Giftmüll im Auftrag seines Anwalts zu entsorgen.
Die Tote ist tatsächlich die vermisste Mutter des schicksalgezeichnet dreinblickenden Dennis. Die junge, besitzergreifende Geliebte von Frank Weber, Kaja Krumme, hatte die unliebsame Nebenbuhlerin (möglicherweise) in Notwehr erschlagen und ihr in Verdeckungsabsicht mit der Kettensäge die Gliedmaßen und den Kopf abgetrennt, bevor sie den Rest der Leiche auf dem Recyclinghof zu entsorgen versuchte, nachdem ein Verbrennungsversuch gescheitert war. Unter den frisch gesetzten Bäumen der Gärtnerei finden sich denn auch die restlichen Gliedmaßen der Toten. »Du hast doch auch immer gesagt, dass sie verschwinden muss!«, raunt sie ihrem Liebsten bei der Verhaftung zu und dieser guckt nur genauso hilflos dämlich wie im Rest des Films.

Bewertung:
"Der neue Kölner Tatort ist ein Männerfilm. Wo man hinsieht: kauzige, spießige, aufgeblasene, waidwunde Männer. Ein Panoptikum der Neurosen und Charakterschwächen stellen Achim Scholz (Buch) und Kaspar Heidelbach (Regie) aus. Der Titel dieser Folge, Müll, kann demnach auch auf diese hintergründige Ebene des Krimis bezogen werden. »Viel seelischer Unrat wartet auf seine Entsorgung.«" So der Kommentar von Stefan Fischer in der Süddeutschen Zeitung. Die Kommission kann sich dem nur anschließen, wiewohl nicht ohne ein "ja aber": Ein Männertatort mag es gewesen sein, dafür kommt er jedoch auch nicht ohne die größte Angst des männlichen Geschlechts aus. So wir Freud trauen dürfen, ist das die Kastrationsangst. Schade nur, dass es mal wieder keinen Mann getroffen hat, sondern nur die lästige Nebenbuhlerin, ein Szenario, dass denn auch dem Mann wieder gefallen kann.
Dennoch unterstreicht die Kommission den – wenn auch makaberen – Fortschritt, der darin zum Ausdruck kommt, dass Frauen durchaus als gleichberechtigte Täter in Betracht kommen, wenn es um schwere Verbrechen oder schwierig zu bewerkstelligende Verdeckungstechniken geht. Mal eben mit der Kettensäge eine Leiche beseitigen, am Tage ein paar Bäume pflanzen und den Stadtpark begrünen, am Abend dann die Steuererklärung vorbereiten, während der geliebte Mann nur treu-doof zuschaut, das ist ein Frauenbild, das mit alten Stereotypen aufräumt. Es ist gar nicht lange her, da kamen Frauen nur als mittelbare Täter oder als Anstifterinnen kräftiger Männer im TV-Krimi vor. Handelten sie selbst, war meist Gift im Spiel oder ein handlicher Damenrevolver. Das Motiv bleibt indes diesem Klischee einigermaßen treu.
Weiterer Kritikpunkt ist die Sorglosigkeit, mit der Nebenrollen ohne Wiederbelebungsversuche geopfert werden. Konkret wurde der Müllsammler Willy von Kaja mit einem Elektroschocker getastet, so dass dieser einen langsamen Herzinfakt erleidet und in den Armen von Kommissar Ballauf krepiert. Anstatt ihn aber mit einer Herzdruckmassage wiederzubeleben, eine Maßnahme, die jede/r Autorfahrer/in beherrschen muss, kommt auch hier wieder nur die Großaufnahme eines betreten dreinguckenden Gesichtsausdrucks in die Kamera. Dabei ist es so wichtig, in entsprechenden Situationen sofort und ohne falsche Scheu zu reagieren. Wie immer gilt auch hier: Nur wer nichts tut, macht etwas falsch! -- Für einen Polizisten in Garantenstellung wird bei unterlassenen Hilfemaßnahmen aus einer unterlassenen Hilfeleistung nach dem Strafgesetzbuch schnell ein Totschlag durch Unterlassen, wenn die Herzdruckmassage zur Rettung von Willy geführt hätte.
Darüber hinaus irritiert die Darstellung des korrupten Anwalts Adam. Problematisch ist dabei nicht so sehr, dass er als Strafverteidiger die typische Anwaltsrolle als Spielverderber schneller Ermittlungserfolge einnimmt oder als menschliches Arschloch an illegalen Müllverschiebungen mitverdient, kritisiert wird vielmehr das so erzeugte Bild, wonach anwaltliche Tätigkeit und Firmenchefsein eine Selbstverständlichkeit sind. Tatsächlich aber ist die Advokatur ein freier Beruf und die Nebentätigkeit von AnwältInnen stark begrenzt. Die Anwaltskammer achtet auch penibel darauf, dass ein Interessenkonflikt zwischen der Mandantenverteidigung und eigenen wirtschaftlichen Interessen – wie er hier dargestellt wurde – nicht schon institutionell bestehen. Das Bild des korrupten Anwalts mag nicht lebensfern sein, aber so stimmt es nicht.
Insgesamt hält sich jedoch die Darstellung polizeilichen Verhaltens weitgehend im Rahmen der Rechtsordnung. Wo Grauzonen der Rechtmäßigkeit existieren, werden sie als solche thematisiert (z.B. die Frage, ob ein dringender Tatverdacht die Untersuchungshaft von Esser rechtfertigt). Allerdings stellte die Kommission mehrere schwere Verstöße gegen Ermittlungsgrundsätze fest:
  • das Einschleichen bei Willy unter Vorgabe rein »platonischen Interesses« für dessen Motorrad-Fabel und dessen amtliche Befragung ohne vorherige Belehrung,
  • die Vernehmung des Zeugen Dennis Weber ohne elterliche Zustimmung (umstritten!).

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