Tatortkontrollkommission

unabhängige Kommission zur Untersuchung und Kontrolle der Medialisierung und Visualisierung von Rechtswirklichkeit am Beispiel der ARD-Produktionen "Tatort" und "Polizeiruf 110"

Montag, 28. April 2008

Vielschichtige Handlung ohne Umweltverbund

Tatort vom Sonntag, 27.4.08:
Der oide Depp (Regie: Michael Gutmann, BR)


Sachverhalt:
Die beiden Kripobeamten im Morddezernat München Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl) sind nicht begeistert, sich mit der Wiederaufnahme der Ermittlungen zu einem alten Fall herumschlagen zu müssen. Der zum Polizeipräsidenten aufstrebende Kriminaloberrat Wellisch (Christian Springer) drückt ihnen den Fall trotzdem auf und läßt mit einen Stapel verstaubter Akten auch noch einen neuen "alten" Kollegen ins Büro schieben:
1965 ermordet in München ein Unbekannter zwei "Edel-Prostituierte" Gertrude 'Gina' Echsner (Muriel Roth) und Johanna Wiesnet (Julia Eder) grausam. Jetzt finden Polizisten im abgeschleppten Amischlitten des gerade aus den USA zurückgesiedelten Robert 'Roy' Esslinger (Jörg Hube) zufällig die Tatwaffe. Bei diesem kaltschnäuzigen Ex-Unterwelt- und "Bordellkönig" allerdings beissen sie trotz folgenden Schwächeanfall und Herzinfarkt auf Granit.
Die Ermittlungen werden auch durch den unterschätzten Grantlhuber Kriminalhauptkommissar Bernhard "Opa Sirsch" (Fred Stillkrauth), der den ausgeschiedenen Kollegen Carlo ersetzen soll - vorgeblich keinen Computer bedienen kann und Alkoholiker zu sein scheint - nicht erleichtert.
Die Kripobeamten tauchen ein in das verblasste Münchner Rotlichtmilieu der 60er Jahre. „Roy“ war damals eine viel beachtete Halbweltgröße im Bahnhofsmilieu. Mit gescheitem Taktieren hatte er es verstanden, auch mit den Spitzen der Stadt zu kooperieren. Auch Münchens ehemaliger - inzwischen geschickt vorgeblicher dementer - Polizeipräsident Dr. Landgräber (Gerd Fitz) kann sich an ihn mehr als nur erinnern.
Eine Strafanzeige wegen Körperverletzung durch die beiden späteren Mordopfer wurde seinerzeit bei der Polizei nicht weiter aufgenommen und verfolgt ...
Zu spät stellen sich die Komissare die Frage, ob der neue Kollege so hilflos ist oder ob er nicht geschickt die Ermittlungen bestimmt? Als sich dann seine vorgefertigte Meinung bei den Kollegen nicht durchsetzt, greift dieser zur Selbstjustiz und wird selbst Opfer des damaligen Mörders.

Bewertung:
"Der alte Depp" vom Bayrischen Rundfunk aus München ist ein größtenteils fesselnder Tatort mit den zwei Sympathieträger, den Kriminalhauptkommissaren Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl).
Das Experiment der ungewöhnlichen Handlungsstruktur mit Retrospektiven ist eine gute Idee des auch beim "Fall für zwei"-Detektivkrimi regieführenden Michael Gutmann - in der Tiefe aber nicht immer ganz geglückt.
Insbesondere bleiben die weiblichen Charaktere, vor allem die beiden ermordeten jungen Frauen, nicht weniger auch die wohl amerikanische Frau Esslinger, als Klischee ihrer selbst, im übrigen aber blaß und konturlos in der Handlung stehen.
Die detailgetreue Rekonstruktion der 60er von Nicholas Ofczarek ist zwar beachtlich, doch nach dem raffinierten Wechsel der Zeitebenen bietet schlußendlich die tötliche Auflösung wenig Überraschung. Durch Humor und gute schauspielerische Leistungen wird dies allerdings wett gemacht.
Die Kommission zeigt sich bedenklich, dass der auf Hinweis von "Opa Sirsch" schließlich bei der Staatsanwaltschaft beantragte und nicht einfach nur vollzogene Gentestvergleich von Kommissar Leitmayr so dargestellt wurde, als handle es sich dabei um einen unnötigen bürokratischen Umweg. Gerade das Beispiel dieses Tatorts hat nämlich gezeigt, wie schnell anlässlich antiamerikanischer und antikapitalistischer Vorbehalte gegen menschliche Ekelgestalten der (wohl nicht nur polizeiliche) Verdacht naheliegt, diese müssten auch die gesuchten Mörder sein.

Rechtsverstöße:
  • Hausfriedensbruch in zwei Fällen: z.B. Eindringen und Durchsuchen der Wohnung von Opa Sirsch ohne Durchsuchungsbefehl
  • Nötigung gegenüber Vorgesetzten (Abschlusszene, wiewohl die Kommission hier an der Zweck-Mittel-Relation am Tatbestand der Verwerflichkeit Zweifel hatte)
  • Ungerechtfertigte Benutzung des Blaulichts; StVO §35 (Sonderrechte) und § 38 (Wegerechte)
Umweltbewußtseinsstörungen:
  • Fahren mit nicht den (EU-) Umweltrichtlinien und Abgasnormen entsprechenden Fahrzeugs durch den Freistaat Bayern.
  • Auschließliche Benutzung des MIVs (Motorisierter IndividualVerkehr) zur Ermittlungstätigkeit und - wie immer beim Tatort - völlige Missachtung der öffentlichen Verkehrsmittel im Umweltverbund.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Zu den juristischen und medizinischen Aspekten der 1. Hilfe z.B. bei Kreislaufschwäche, Herzinfarkt und Stichverletzugnen am/im Tatort sagt ihr wohl nichts - oder was? Hier sollten die eigenen Ausführungen vielleicht mal besser selber ernster genommen werden. Meint ihr nicht?!

Nur so als Tip:
http://tatortkontrolle.blogspot.com/2008/04/erste-hilfe-fr-die-ffentlich.html