Tatortkontrollkommission

unabhängige Kommission zur Untersuchung und Kontrolle der Medialisierung und Visualisierung von Rechtswirklichkeit am Beispiel der ARD-Produktionen "Tatort" und "Polizeiruf 110"

Montag, 12. Mai 2008

Komm süßer Tod... -- Wissen schaft Kriminalität

Tatort vom Sonntag, 4.5.08:
Exitus (Regie:
Thomas Roth, RBB)

Sachverhalt:
Crash Test Dummies sind auch nicht das was sie einmal waren. Um die Auswirkungen ein echtes Schleudertraumas bei ungenügender Sicherheitsausstattung von Unfall-Pkws auszutesten brauchts schon echte menschliche Körper. Aber wer würde sich dafür schon zur Verfügung stellen - selbst wenn mensch tot ist?? Also woher nehmen, wenn nicht stehlen...?

Nach einem Autounfall findet die Polizei fünf Leichen im feuergefangenen Wrack. Drei davon sind entkleidet und wie sich bald herausstellt längst vor dem Unfall verstorben. Der illegale Leichentransport ruft den Sonderermittler des Innenministeriums Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) auf den Plan. Gemeinsam mit seinem Wiener Kollegen Inspektor Bernhard Weiler (Heribert Sasse) treibt Eisner die Ermittlungen um die schaurige Entdeckung voran, die ihn in die Welt der Medizin und Forschung führen. Und wo Medizin und Forschung zusammen kommen ist häufig auch das große Geld nicht weit. Erste Untersuchungen ergeben, dass diese drei Leichen aus einem Krankenhaus offiziell zu Forschungs- und Lehrzwecken an die Anatomie der Universität Wien überstellt worden waren. Auch die Leiterin der Klinik Dr. Veronika Fuchsthaler (Sunny Melles) hat keine Erklärung dafür, wie diese menschlichen Körper nachts in einen Kleintransporter auf einer einsamen Landstraße gekommen sind.

Unerwartete Hilfe und emotionale Nähe erhalten die Ermittler, besonders aber Sonderermittler Elsner von der jungen Pathologin Dr. Paula Weisz (
Feo Aladag), die in dem Krankenhaus Ungereimtheiten entdeckt. Auf eine ganz heiße Spur stößt Dr. Weisz bei einem Seminar an der Grazer Universität. Denn bei einem Anschauungsunterricht erkennt sie den vermisst gemeldeten Körper einer jungen Drogensüchtigen wieder, die nach den Unterlagen bereits in Wien von Studenten seziert worden ist. Wie konnte diese Leiche dann äußerlich offensichtlich unversehrt nach Graz kommen?

Für Moritz Eisner ist klar, dass die Anatomie und das Krankenhaus über gefälschte Akten Leichen verschwinden lassen. Menschen, die keine Angehörigen haben, für die niemand ein Begräbnis bezahlt und die niemand vermisst. Doch zu welchem Zweck geschieht das? Und warum hat die drogensüchtige Frau schwere Brüche an der Wirbelsäule und den Schultern, die ihr eindeutig lange nach dem Tod zugefügt wurden?

Inspektor Weiler findet unterdessen heraus, dass ein großes deutsches Versicherungsunternehmen, das sich u.a. auf Lebens- und Unfallversicherungen spezialisiert hat, Millionenbeträge wegen unfallbedingter Schleudertrauma auszahlen musste. Dieses Unternehmen publizierte nun eine Studie, wonach die Schleudertraumata sehr viel seltener zu Berufsunfähigkeit führen als bislang angenommen. Genauere Untersuchungen waren bisher mangels menschlicher Versuchskörper nur sehr beschränkt möglich gewesen. Seit Veröffentlichung der Studie haben die Versicherungen ihre Auszahlungspraxis grundlegend geändert und sparen so Millionen. Woher die in der Studie in Crash-Tests verwendeten Menschenkörper stammten bleibt ungewiss. Schnell kommen die Ermittler der Versicherung auf die Spur, deren österreichischer Firmensitzt zufällig oder gerade nicht von dem in Scheidung befindlichen Ehemann der Klinikdirektorin
Fuchsthaler geleitet wird. Ein Schelm, wer böses dabei denkt...

Verfolgt von der Presse, die Wind von dieser Schauergeschichte bekommen hat, gerät Eisner immer tiefer in Ermittlungen, die ständig neue Fragen aufwerfen. Vor allem aber diese eine Frage: Wie weit dürfen Wissenschaft und Forschung gehen?

Bewertung:
"Exitus" ist ein sehr kurzweiliger, irgendwie "typisch" österreichischer Tatort, der eher an die Schocker der Kult-Thriller "Anatomie" und die morbide Kriminalgroteske "Komm süßer Tod" erinnert, denn an das übliche Tatortformat. Sollte das damit zu tun haben, dass sich die Preußen des RBB ihre Wiener Kollegen ebenen genau so vorstellen, denn der österreichische Tatort kommt aus Berlin (vgl. Jürgen Heimlich: Der TATORT aus Sicht eines Wieners)?

Dabei werden zwar durchaus spannende Fragen aufgeworfen:
  • Warum kann der Leichnam eines Menschen nach dem deutschen Recht für medizinische Versuche und Organspenden nur genutzt werden, wer eine entsprechende Erklärung abgegeben hat und seinen Organspenderausweis mit sich führt, während in Österreich schlichtweg jeder Leichnam weiterverwendet werden kann, wenn diese nicht explizit durch den Verstorbenen ausgeschlossen wurde oder Angehörige die Bestattung zeitnah veranlassen?
  • Wo sind die Grenzen wissenschaftlichen Forschens?
  • Ist die Forschung reiner Selbstzweck und von jeder ethischen Bewertung freizustellen?
  • Wem darf, wem muss die Forschung dienen?
Indes, sie bleiben als Fragen Nebensätze des aktionsreichen Geschehens, unbeantwortet und unerhört. Die bösen Forscher richten sich selbst und werden Märtyrer ihrer verstaubten, aber als rücksichtsloser Pioniergeist empfundenen Wissenschaftsauffassung. Dabei wird jedoch nicht verholen, dass das Gerede von Wissenschaft und Erkenntnis am Ende nicht mehr ist, als ein großes Geschäft - und zwar auf allen Seiten.

Die Kommission hat wenig Anlass für strafprozessuale Kritik. Wo durch die Polizei Rechtsbrüche begangen wurden oder werden sollten, war dies Gegenstand der Auseinandersetzung zwischen den Kollegen bzw. gegenüber der Staatsanwaltschaft. Nichtsdestotrotz hat sich Sonderermittler Eisner wegen versuchter Nötigung und Sachbeschädigung strafbar gemacht, wiewohl nach dem Handlungsverlauf davon auszugehen ist, dass der als Opfer in Frage kommende Reporter keine Anzeige erstatten, andernfalls die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen einstellen wird.

Problematisch erscheinen die Frauenbilder in diesem Tatort. Während Dr. Weisz, eine schöne, intelligente Frau, als Inbegriff der selbständigen Karrieristin ein einsames Leben fristet und in Kommissar Eisner einen ebenbürtigen Partner findet, um wegen ihres Mutes und ihres Jobs geopfert zu werden, dient Klinikumsleiterin Dr. Fuchsthaler als Portfolio einer abhängigen, treuherzigen Ehefrau, die ihrem Mann selbst dann noch gehorcht, wenn dieser von ihr kriminelle Handlungen verlangt, fremdgeht und überdies die Scheidung eingereicht hat. Sie wird in einer zu tiefst entwürdigenden Haltung präsentiert, deren Tiefpunkt ohne Zweifel das schluchsende Eingeständnis ihrer Schuld an der Brust des sie überführenden Ermittlers ist. Beide Frauenbilder, samt der um ihren Vater und sein Glück besorgten Tochter, prägen die Szenerie, in deren Mittelpunkt Sonderermittler Eisler steht, dessen besonderer männlicher Charme der Kommission verborgen blieb, nicht ohne über dessen Auswirkung verwundert zu sein. Ein Merkmal, das sich übrigens durch fast alle Tatortfolgen mit Major Moritz Eisner, dem "lonesome cowboy", zieht (vgl. nur "Die Hölle, das sind die anderen", "Tod aus Afrika" oder "Der Teufel vom Berg") .

Nicht ohne Ironie möchte die Kommission den Autoren der Tatortfolge (Buch und Regie Thomas Roth) für das in dem Werbetrailer der verunfallten Medizinstudenten zum Ausdruck kommende anschauliche Beispiel des Tatbestands von § 168 Abs. 1 (2. Alt.) StGB [beschimpfender Unfug mit dem Körper oder Teilen des Körpers eines verstorbenen Menschen -> Straferwartung: Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis drei Jahren] danken, dass noch Generationen von Jurastudierenden als Vorbild bei der Subsumtionsarbeit dienen kann.

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