Tatort vom Sonntag, 25.5.08:
Todesstrafe (Regie: Patrick Winczewski, MDR)
Sachverhalt:
Gerade mit dem Zug in Leipzig angekommen, wird Hauptkommissar Andreas Keppler (Martin Wuttke) direkt zu einem Tatort gerufen, wo seine neue Kollegin und ex-Ehefrau Eva Saalfeld (Simone Thomalla) ihn schon erwartet. Zeit für Privates bleibt ihnen aber nicht, denn sie müssen gemeinsam einen Mord aufklären.
Hans Freytag (Tom Quaas), Betreiber des Veranstaltungszentrums "Fabrik", wurde erstochen von der Bäckersfrau aufgefunden, eine unerkannte Person ist vom Tatort flüchtig. Freytag hatte gemeinsam mit Jugendlichen ein Boot restauriert, an dessen Bug nun das Wort "Todesstrafe" gesprüht stehen. Keppler, dessen Alleingänge und dessen introvertiert schroffes Sozialverhalten im Ermittlungsteam schon bald zu Spannungen führt, und Kommissarin Saalfeld ermitteln, dass Freytags "Fabrik" bereits mehrfach von Unbekannten mit dem Wort "Kinderschänder" beschmiert worden war. Hintergrund könnte eine Strafanzeige seiner von ihm getrennt lebenden Frau Sibylle (Julia Richter) sein, die behauptet, dass Freytag ihre gemeinsame kleine Tochter missbraucht habe. Gegen Freytag herrschte Pogromstimmung im Stadtteil. Auf der Spur nach der flüchtigen Person vom Tatort stoßen die Kommissare Saalfeld und Keppler auf Max Lornsen (Joseph Bundschuh), der auch als letzter mit Freytag telefoniert hatte. Allerdings war der junge Mann mit dem Opfer befreundet - welches Motiv für einen Mord sollte er haben?
Das sieht beim Wirt Kurt Steinbrecher (Matthias Brenner) ganz anders aus: Er ist Vorsitzender eines eingetragenen Vereins, der öffentlich die Todesstrafe für Kinderschänder fordert. Steinbrecher hat kein Alibi, und seine Fingerabdrücke befinden sich auf einer am Tatort gefundenen Spraydose. Als die Kommissare dann noch herausfinden, dass Sibylle Freytag und ihr Anwalt Klaus Arend (Roman Knizka), der mit Kommissarin Saalfeld gemeinsam die Schulbank der POS Georgi Dimitroff gedrückt hatte, schon seit längerem ein Paar sind, stellt sich ihnen die Frage nach dem eigentlichen Zweck der Missbrauchsanzeige.
Eva Saalfeld und Andreas Keppler ermitteln in einem Stadtviertel, in dem eine Tendenz zu Bürgerwehr und Selbstjustiz herrscht. In ihrem ersten Fall müssen sie ein Geflecht aus Stammtischparolen, zerrütteten Ehen und gescheiterten Träumen entwirren.
Bewertung:
Die Kommission ist empört: Keppler spricht kein sächsisch; Saalfeld spricht kein sächsisch. Die alten Lornsens, der junge Lornsen, ja selbst die Bäckerin „von nebenan“ sprechen dialektfrei die deutsche Sprache. Menschen ohne Herkunft? Und das ausgerechnet in Leipzig, wo doch, wie manche behaupten, der Dialekt erst erfunden wurde. Und wo man ganz gewiss nicht beschämt darüber ist, noch nicht vollständig in die up-to-date-Gesellschaft des 21. Jahrhunderts globalisiert und assimiliert zu sein.
Der Süddeutschen Zeitung hingegen scheint dieses linguistische Element ziemlich egal zu sein, denn schließlich sei ja eh „längst zusammengewachsen ist, was zusammengehört,“ wobei Else Buschheuer von der SZ nicht das, sich seit langer Zeit wiedersehende Ermittlerpaar meint, sondern die vermeintlich sächsisch sprechenden Ostdeutschen und die vermeintlich hochdeutsch sprechenden Westdeutschen. Klischees at its best! Und das ganz ohne Augenzwinkern.
Dass die dialektfreie Zone seit einiger Zeit in verschiedenen Tatortfolgen regionale Besonderheiten außer Kraft setzt und dem föderalen Prinzip des Tatorts somit einen Teil seines Sendungsbewusstseins entzieht, stellt die Kommission im Gegensatz zu den meisten medialen Reaktionen auf die Tatortfolge außerordentlich in Frage. Denn schließlich war es doch bisher stets etwas Besonderes, die im Relativen doch heterogene Lebenswelt hiesiger Regionen auch im Fernsehen zu erleben.
Und welchen Zweck kann das Konzept der linguistischen Deregionalisierung haben? Soll den Zuschauern bedeutet werden, dass es ja schließlich kein Problem sei, wo man arbeitet, sondern lediglich, das man arbeitet!? Ob Berlin oder Leipzig, ob Münster oder München – der modern-kapitalistischen Arbeitswelt ist das egal. Flexibel soll der Mensch sein (und dabei hilfreich und gut)! Hierfür, so scheint es, sind ein akzentfreies Hochdeutsch sowie die ausgeprägte Bereitschaft, seinen Wohnort vom Ort des Arbeitsplatzes abhängig zu machen, unabdingbare Voraussetzung. So entnimmt die Kommission die Botschaft: Kappt eure Wurzeln und sprecht hochdeutsch! Wo auch immer das sein wird - so wird es gut.
Nein, ein lebensnaher Tatort, ein Tatort „dran an den Menschen“ war das also wieder nicht. Vielmehr eine virtuelle Welt, zu der die Reale, so hofft man, doch niemals aufsteigen soll und im zweiten Atemzug schon bezweifelt, ob das nicht schon längst passiert ist. Im Tatort aus Leipzig ist es jedenfalls die Realität – auch im juristischen Sinn: Da stiftet die Kommissarin ihren alten „Freund aus EOS-Zeiten“ und Rechtsanwalt in seiner kitschig und klischeehaft mondänen Arbeitsumgebung an, als Zeugnisverweigerungsberechtigter nach § 53 I Nr. 3 StPO Privatgeheimnisse seines Mandanten zu verletzen, was strafbar ist nach §§ 203, 26 StGB. Da kommt es - wie schon in vergangenen Tatort-Folgen - zu Vernehmungen ohne vorherige ordnungsgemäße Belehrung. Mit dem Rechtsstaat also nimmt es der Tatort auch in dieser Folge nicht so genau.
Im Besonderen positiv bewertet die Kommission jedoch die ausgiebige Nutzung der Leipziger Straßenbahn durch Kommissar Keppler, der auch im Übrigen durch Martin Wuttke, den „Arturo Ui“ des Berliner Ensambles und dessen ehemaliger Intendant, hervorragend in Szene gesetzt wird. Schade, dass seine Kollegin Saalfeld, gespielt von Simone Thomalla, daneben so blaß bleibt. Schließlich kann wenigstens die Straßenbahn als fester Bestandteil des Leipziger Fluidums Präsenz zeigen, wenn den SchöpferInnen schon die sächsische Sprache nicht zur Identifizierung des Leipziger-Tatortes geeignet erschien.
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